- am 11.06.2007
- auf der Aktuellseite Anhalt und Sachsen
- in der Kategorie Mitteldeutscher Verkehrsverbund
Ein Pferd, das fährt; aber nur selten – Döbelns Pferdestraßenbahn

Nachdem im Jahre 2002 das so genannte Jahrhunderthochwasser weite Teile Sachsens, darunter auch Döbeln schwer verwüstete, folgte aus dem geflügelten Untergang ein Wiederaufbau des Zerstörten in Rekordgeschwindigkeit besonderer Intensität.
Diesem Umstand schuldend, gelang es der Stadt, in das zwischen 2000 und 2006 auf 170 Millionen Euro angelegte Fördermittelprogramm für „Städtische Entwicklung“ der Europäischen Union aufgenommen zu werden, um Teilbereiche des Ortskerns sowie einzelne Quartiere neu zu gestalten. Berücksichtigung fand dabei ebenso die seit der politischen Wende währende Idee einer Wiederbelebung der bis 1926 betriebenen Pferdebahn, deren Spuren in Form von Gleisresten sowohl vor dem Rathaus als auch dem Obermarkt noch bis zuletzt sichtbar waren und das Stadtbild entscheidend prägten. Eine Analyse der Arbeitsgemeinschaft „Innenstadtmarketing“ im Jahre 2001 vorausgehend, gründete sich schließlich im Januar 2002 der „Döbelner Pferdebahn e.V., sich zur Aufgabe machend, das Projekt zügig umzusetzen. Aus den Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung sowie weiteren landeseigenen Subventionen entstand so im Zusammenhang mit der kompletten Umgestaltung des Areals zwischen Nieder- und Obermarkt zwischen 2005 und 2007 die ca. 750 m lange Gleistrasse bis zur Theaterstraße, deren Eröffnung am vergangenen Sonnabend in Begleitung lokalpolitischer Prominenz feierlich stattfand.
„Die Wiederbelebung der Pferdestraßenbahn war von Anfang an ein wichtiger Eckpunkt der Umgestaltung“, sagte Bürgermeister Axel Buschmann in seiner Rede zur Einweihung und er sprach ferner von einer einzigartigen „historischen Chance“, die man genutzt habe.
Mit den Worten, dass „es nach über 80 Jahren wieder soweit“ sei, bejubelte der Vereinsvorsitzende Uwe Hitzschke das Ereignis und warf einen gleichzeitigen Blick in die Vergangenheit. Jeden Tag habe die damalige Pferdebahn auf ihrer 2,5 km langen Strecke bis zum Hauptbahnhof 66 Fahrten zurückgelegt und damit das Rückgrat des öffentlichen Nahverkehrs in Döbeln symbolisiert.
Zum Mittelpunkt der Mobilität wird man sich heutzutage allerdings nicht mehr entwickeln, zumal die ersten auch gleichzeitig auf absehbare Zeit die letzten Betriebstage waren. Denn, weder gibt es momentan einen Fahrplan, geschweige denn fixierte Jahrestermine, noch ist ein Betrieb des tierischen Schienenfahrzeugs während des bevorstehenden Stadtfestes an diesem Wochenende geplant. „Wir brauchen das Depot“, erklärt der stellvertretende Vereinsvorsitzende Jörg Lippert, „vorher wird es lediglich sporadische Dienste geben.“ Der Wagen, ein Meißner 2-Achser – ursprünglich sogar elektrisch motorisiert –, den man im April dieses Jahres restauriert fertig stellte, müsse solange in einer Garage abgestellt und mit einem Hänger zum Gleis gebracht werden, so dass der logistische Aufwand eine verlässliche Fahrplanung nicht erlaube. Indes hofft man beim Verein auf eine positive Entscheidung seitens der Politik. Im Juli wird über den Weiterbau und das Errichten des Depots und zugleich Museums im Gebäude des ehemaligen Kindergartens am Niederwerder entschieden.
Mit einer positiven Resolution wäre auch die Unterbringung des zweiten, Neuchâteler Wagens geklärt, bei dem Fachkundige aufgrund des dichten Achsabstandes gegenwärtig einen reibungslosen Betrieb jedoch bezweifeln. Die für weit über 300.000 Euro installierten Gleise, die dank der Unterstützung jeweiliger Verkehrsbetriebe aus Cottbus sowie Chemnitz zum Schrottpreis gebraucht gekauft und in Dresden gebogen wurden, verlaufen teilweise in engen Kurvenradien. Bereits während der Eröffnung waren Vibrationen selbst am Boden des Meißner Wagens im Fahrzeuginneren deutlich spürbar, so dass eine überproportionale Beanspruchung der Schienen anzunehmen ist, die eine vorzeitige Materialermüdung an der gesamten Infrastruktur zur Folge hätte.
Der Enthusiasmus und Erfolg des Vereins wird insofern gleich mehrfach eingetrübt. Zum einen verhindern strukturelle Defizite eine Kontinuität und konterkarieren das Ziel, Touristen in die Region zu locken, weil es außer den Gleisen pferdebahntechnisch nichts zu bewundern gibt. Zum anderen fehlt es an handfesten Konzepten wie beispielsweise konkreten Charter-Angeboten oder plausiblen Tarifvorstellungen. Letztere lagen bei Inbetriebnahme mit fünf Euro für eine Hin- und Rückfahrt eher in einem exorbitant hohen Bereich. Dem Ein oder Anderen mag es das wert gewesen sein, war es vorerst augenscheinlich das letzte Mal – ganz wie im Lied über die Pferdebahn: Das eine Pferd, das zieht nicht, das andere, das geht lahm.
Bild: In diesen Kurven wird's für Pferd und Wagen im wahrsten Sinne des Wortes eng. © Christian Linow

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