- am 29.03.2007
- auf der Aktuellseite Berlin-Brandenburg
- in der Kategorie Bus
Departure delayed – ist am Hauptbahnhof alles zu spät?

„Departure delayed – Abfahrt verpätet“: Diese Anzeige dürfte wohl bei den meisten Fahrgästen von Bussen oder Straßenbahnen der Hauptstadt zum gewohnten Procedere ihres Weges dazugehören. Dass die gelb blinkende Wortschöpfung der Berliner Verkehrsbetriebe an ihren „DAISY“- Anzeigern eines Tages allerdings alles den neuen Hauptbahnhof Betreffende versinnbildlichen würde, daran hätten wahrscheinlich ihre Erfinder nie zu glauben gewagt.
Die Straßenbahn kommt dank mehrfachen politischen Versagens nicht vor 2011 und auch bei der Umgestaltung der jeweiligen Vorplätze geht es nicht wirklich voran. Die U55 wird gebaut, wenngleich niemand weiß, ob sie tatsächlich den Lehrter Bahnhof jemals mit dem Brandenburger Tor verbinden wird. Gar keine Rede erst von der S21, deren Nord-Süd-Wirkung man zwischen der nördlichen Ringbahn und dem Potsdamer Platz unlängst mit dem Verweis auf zu hohe Kosten um die Hälfte beschnitt.
Für den treuen Kunden, der das Milliarden Euro teure Objekt als Umsteigeknoten oft benutzt, heißt dies warten. Warten darauf, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Angesprochenes zügig umsetzt und im Rahmen der unzähligen Projekte grünes Licht erteilt. Warten aber auch darauf, dass der Bus kommt; und das möglichst schnell. Denn, wenn es stürmt, regnet oder schneit, ist es um die Kunden des „Hauptbahnhof Deutschland“, wie ihn „Die Welt“ vor der Eröffnung bezeichnete, nicht gut bestellt.
Ob als Tourist, Hauptstadtbürger oder allgemeiner Beförderungsfall unterwegs, auf dem Weg von der Eisenbahn-Kathedrale zum Omnibus sind alle gleich. Auf den unzähligen Treppen und Wegen das monumentale Foyer des gläsernen Palastes verlassend, landet ein jeder spontan ernüchternd auf einem unüberschaubaren Areal Freifläche – genannt Europaplatz.
Wenn Deutschland nun also einen Hauptbahnhof hat, dann muss die von Fahrrädern durchtränkte Sandwüste wohl Europa sein. Eine schmale, dürftig geteerte Straße, auf der sich Taxen drängen, zerschneidet die Idylle unsäglich, so dass der Weg zum Bus notgedrungen zwischen ihnen hindurch führt. Dabei ist das Ziel genauso wenig anmutend. Großzügig hat die BVG jeweils seitenbezogen ein Wartehäuschen zur Invalidenstraße installiert, das vor Unwetterlagen und eventuell Pfützen durchkreuzenden Autofahrern den noch am Gleis willkommen Geheißenen bewahren soll. Viel Wirkung beweist dieses "weltstädtische" Konstrukt allerdings nicht. Weder die Prävention vor Wasser und Sturm noch die Information scheint hier zu gelingen. In allen erdenklichen Frequenzen blinken die kleinen Aufschriften des Fahrgastinformationssystems "DAISY", kündigen Linien an, die erst Minuten später eintreffen oder zeigen schlicht, was der Fahrgast ohnehin schon weiß: „Departure delayed – Abfahrt verspätet."
„Jeder blamiert sich so gut wie er kann, und wir können das am Besten“, sagte ein fachkundiger Berliner Journalist im Gespräch mit BahnInfo zynisch. Währenddessen muss erwähnt werden, dass die Deutsche Bahn als Eigentümer des ihren Angaben nach größten Kreuzungsbahnhofs Europas nur wenig bis gar keine Schuld trifft. Erst kürzlich intervenierte man seitens des Unternehmens beim Senat und der BVG und kündigte an, sogar Konzern immanentes Kapital in die Hand zu nehmen, um die Verhältnisse vor Ort zu verbessern. Bislang ohne sehenswertes Ergebnis.
Gleichwohl aber erwecken die Berliner Verkehrsbetriebe den Anschein, als hätten sie realisiert, wie wichtig Information für den Kunden ist. Anders jedenfalls lässt es sich nicht erklären, dass man sich bemühte, bereits ein offizielles Jahr vor der Eröffnung überall großflächige Hinweisschilder zur U55 aufzustellen, die zu allem Überfluss auch nachts den Weg ins Nirgendwo ausleuchten und nur mit Hilfe eines kümmerlich geklebten Kreuzes einen potenziellen Nutzer der Kanzler-U-Bahn davon abhalten, den Pfad in den Untergrund zu suchen.
Statt eines, wie in anderen Großstädten üblichen Busbahnhofs liegt vor-, hinter- und seitwärts des damaligen Lehrters die Brache. Europa präsentiert sich in Zeiten des Klimawandels schon heute zukunftsweisend als Sandwüste und Washington residiert auf seinem Platz aus Asphalt, an dessen östlicher Seite der Flughafenexpress-Bus „TXL“ ohne Halt vorbeirauscht und Auswärtige voll Verwunderung und Erstaunen stehen lässt. "B"in "V"orsichtshalber "G"elaufen pflegt man hierzulande in Anspielung auf das städtische Nahverkehrsunternehmen zu sagen.
Ein Lehrbeispiel, das auch die Fraktion des Bündnis ’90/Die Grünen beschäftigt. Erst kürzlich hatte die verkehrspolitische Sprecherin der Partei auf die Mängel am Bahnhof hingewiesen. (BahnInfo berichtete)
Wir sprachen abermals mit der Expertin Claudia Hämmerling über den Status quo und mögliche Verbesserungen.
Frau Hämmerling, solange die Straßenbahn nicht kommt, werden sich die Reisenden am Hauptbahnhof mit dem vorhanden Busnetz begnügen müssen. Hier gibt es jedoch offensichtlich zahlreiche Mängel. So fehlt es an ausreichenden Unterstellmöglichkeiten für die Fahrgäste oder einer entsprechenden Beschilderung zum TXL, die eindeutig auf die Richtung zum Flughafen hinweist. Wie könnte man Ihrer Meinung nach die Probleme lösen?
„Bahn, BVG und Senat müssen ihre Hausaufgaben machen. Die Bahn muss eine gut sichtbare Beschilderung vorhnehmen, damit die Fahrgäste den Weg zum Bus gut finden. Außerdem gehören aktuelle Fahrpläne und Stadtpläne mit den aktuellen Buslinien in die Schaukästen. Am Bahnhof Südkreuz beispielsweise sind Anzeigetafeln, die jeweils die Abfahrzeit des nächsten Busses anzeigen. Das sollte am Hauptbahnhof auch installiert werden.
Der ganze Bahnhofsvorplatz ist eine Fehlkonstruktion. Wenn es aus Kostengründen nicht möglich ist, ihn umzubauen, muss der Senat dafür sorgen, dass die die Fahrgäste nicht unmittelbar hinter dem Bahnhofsausgang in die Taxi-Wendeschleife stolpern. Außerdem muss die Fußgängerampel so geschaltet werden, dass die Fahrgäste rechtzeitig ihre Busse auf der anderen Straßenseite erreichen. Der Radverkehr darf nicht unmittelbar hinter der Bushaltestelle auf dem Gehweg geführt werden. Das ist ein Unfallrisiko erster Klasse.
Die BVG muss Wartehäuschen zur Verfügung stellen, die mindestens fünf mal so viele Fahrgäste fassen.“
Wäre es Ihrer Ansicht nach möglich, die Freiflächen des Europa-Platzes zu einem Busbahnhof umzugestalten, damit der Linienverkehr für Kunden in angenehmer und praktikabler Weise erfolgt? Eine Zufahrt könnte beispielsweise vom Friedrich-List-Ufer bequem realisiert werden und würde auch nach der Verlängerung der Straßenbahn die weiterhin vorhandenen Buslinien optimal einbinden...
„Möglich schon, aber es ist kostspielig. Es ist ärgerlich, dass der Senat entsprechende Hinweise im Vorfeld nicht beachtet hat. Dennoch plädiere ich für eine optimale Anbindung. Die Tram ist auf viele Jahre nicht in Sicht, weil sie vom Senat blockiert wird. Man sollte fahrgastfreundliche Verkehrsplaner beauftragen, den Vorplatz so umzugestalten, dass Busse und Taxen bequem erreicht werden können.“
Was hielten Sie von einer baulichen Abmarkierung der Busspuren auf der Invalidenstraße - zumindest im Bereich des Hautbahnhofes? In anderen Städten sind solche Verfahren, beispielsweise durch das Erhöhen der Fahrbahn oder verlegten Schikanen, längst Standard und verhindern das unberechtigte Benutzen/Parken auf Bustrassen...
„Das fände ich klasse. Der Senat wird das allerdings nicht akzeptieren. Dessen Interesse ist es, den Autoverkehr nicht zu behindern. Deshalb sind ja bislang sogar fahrgastfreundliche Ampelschaltungen nicht möglich.“
Durch die z.T. erheblichen Stauungen zeigt das Informationssystem "DAISY" der BVG nur unzureichende Informationen. Oft blinkt die Anzeige,
obgleich der Bus noch weit entfernt ist. Wie muss man Ihrer Meinung nach reagieren?
„Ich denke, dass diese Technik noch nicht der letzte Stand ist. Trotzdem halte ich ein solches Anzeigensystem für kundenfreundlich. Da muss die BVG noch nachbessern, damit das System zuverlässiger funktioniert.“
Bild: Die U55 wird beschildert, während Fahrgäste beispielsweise nach Tegel nicht so recht wissen, wohin sie sollen. © Christian Linow

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