- am 15.09.2013
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Was macht eigentlich... Deutschlands nördlichste Bahnstrecke?

Flensburg - Leck - Lindholm (- Niebüll - Westerland)
In den Sommermonaten rollt täglich eine Blechlawine von der A7 bei Flensburg über die B199 nach Niebüll; dort starten die Autozüge nach Sylt und von hier geht es weiter zu den Fähren nach Amrum und Föhr. Der Weg von Flensburg nach Niebüll geht durch die einsamen Weiten des nördlichsten Endes von Schleswig-Holstein. Läge die Gegend an der einstigen innerdeutschen Grenze, so hätte man früher sicherlich „Zonenrandgebiet“ zu der gottverlassenen Region gesagt. Einsam genug, dass sich die Band Ton Steine Scherben in Fresenhagen unweit der Bahnstrecke Flensburg-Niebüll einen alten Bauernhof kaufte, um zur Ruhe zu kommen. Der Sänger der „Scherben“ Rio Reiser wurde auf seinen Wunsch hin 1996 auch hier in der Stille der Ländlichkeit beigesetzt (mitterweile ist aber der Hof verkauft, sodass auch das Rio-Reiser-Museum, eigentlich die einzige überregional bedeutsame „Sehenswürdigkeit“ der Gegend schließen musste und das Grab Reisers nach Berlin umgebettet wurde). Aber nun zurück zur Eisenbahngeschichte...
Heute verkehren auf der B199 zwischen Flensburg und Niebüll bis zu 26 Schnellbusse der Deutschen Bahn pro Tag. Nur wenige Meter entfernt davon rosten die Schienen der alten Eisenbahnstrecke KBS 134 zwischen Flensburg-Weiche und Lindholm (wo die alte Bahnstrecke auf die sog. „Marschbahn“ Westerland – Niebüll -Hamburg überging) vor sich hin. Die Verbindung von Flensburg bis kurz vor Niebüll wurde am 1. Oktober 1889 eröffnet. Damals lag die Strecke nicht am nördlichen Ende des Kaiserreiches, denn die deutsch-dänische Grenze führte rund 50 Kilometer weiter nördlich mitten durch die hauptsächlich von Dänen besiedelten Landstriche Nordschleswigs und Südjütlands.
Hauptzweck der Strecke von Flensburg an der Ostsee zur Nordsee war aber noch nicht der Tourismus, auch wenn die Sommerfrische auf den nordfriesischen Inseln ihre ersten Anfänge erlebte: Die landwirtschaftlichen Betriebe Nordschleswigs sollten besser an die beiden Hauptbahnen angebunden werden, damit sollte ein wirtschaftlicher Aufschwung der eher ärmlichen Gegend erreicht werden. Der Nutzungszweck der Strecke änderte sich spätestens mit dem Bau des Hindenburgdamms nach Sylt. Zwar verkehrten zwischen Flensburg und Niebüll meistens Schienenbusse für den Regionalverkehr, aber zwischen 1969 und 1980 gab es sogar eine Fernverkehrsverbindung von Kiel nach Westerland (Eilzug „Sylter Welle“) für die Sommergäste. Es sollte der einzige Ferienverkehr über die seit dem ersten Weltkrieg nördlichste Ost-West-Eisenbahnstrecke Deutschlands bleiben, aber der Eilzug erweckte die Bummelbahn für kurze Zeit aus ihrem Dornröschenschlaf.
Das größte Problem für die Attraktivität der Strecke lag aber im Regionalverkehr, da die Züge in Flensburg nicht den innerstädtischen Hauptbahnhof anfuhren (dafür wäre ein Wende erforderlich geworden), sondern nur im Vorstadtbahnhof Flensburg-Weiche endeten. Auch der Fernverkehr von Kiel nach Sylt hielt nur im Bf Weiche. Für die Anbindung der Landbevölkerung an ihr Oberzentrum Flensburg war die Verbindung damit äußerst unattraktiv,
erst recht mit dem aufkommenden PKW-Verkehr nach dem Zweiten Weltkrieg. Bereits in den 1950er Jahren wurden deshalb zu Schwachlastzeiten die Züge durch parallel auf der B199 verkehrende Busse ersetzt. Ab dem 31. Mai 1981 kamen dann nur noch Busse zum Einsatz, seit dem gab es nur noch Güterverkehr und gelegentliche Museumszüge (u.a. „Angelner Dampfeisenbahn“).
Seit 1990 konnte die Strecke nur noch mit Ausnahmegenehmigung durch Museumsvereine oder Güteranrainer genutzt werden, seit 1999 gibt es gar keine Befahrgenehmigung mehr und die Strecke wurde gesperrt. Die Tatsache, dass zwischen Betriebseinstellung 1981 und Stilllegung 1999 eine solange Zeit verstrichen ist, ist durch ihre militärische Bedeutung begründet, da u.a. die General-Thomsen-Kaserne Leck und das Marinemunitionsdepot Sande mit den Marinestützpunkten an der Ostküste verbunden werden sollten und man im möglichen Ernstfall des Kalten Krieges schnell von der Ost- zur Nordsee gelangen wollte.
Seit 1981 wird hin und wieder über eine Wiederinbetriebnahme der Bahnstrecke geredet, es gab sogar schon konkrete Vorschläge – auch zur Durchbindung von Zügen bis Flensburg Hauptbahnhof. Gerade auch in Anbetracht des starken PKW-Verkehrs im Sommer zwischen Ost- und Westküste sowie einer Anbindung der nordfriesischen Inseln an die elektrifizierte Hauptbahn Aarhus – Flensburg – Hamburg wäre eine Wiederinbetriebnahme sehr wünschenswert. Allerdings dürfte die relative schwache Regionalverkehrsbedeutung im dünnbesiedelten Grenzgebiet wenig Anreize für Investitionen bringen. Vielleicht hat die Strecke ja immerhin eine Zukunft als attraktiver Fernradweg von der Ost- an die Nordsee? Auf jeden Fall laden die verwitterten Schwellen durch die Weiten des flachen und schwachbesiedelten Marschlandes heute zu einem Schienenspaziergang mit „Weitblick“ ein.
Foto: Stillgelegte Bahnstrecke bei Schafflund, 2013 (Autor)

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